Eine freie, visuelle Übersetzung des Textes »Der Sandmann« von E.T.A. Hoffmann

Der Rezipient taucht durch Blättern, Auf- und Entdecken der schriftlichen Spuren des Protagonisten „N“ in dessen Wirklichkeitsraum ein.

Mit Fotografien auf Folie, fiktiven Notizen und Seitenfragmenten aus hundert Jahre alten Wissenschaftsdokumenten kombiniert der Leser sich eine Welt der Realität, Fantasie, Traum, Magie.

Sie illustriert die Erlebnisse N‘s, lässt aber gleichzeitig genug Raum für die eigenen Schaffensprozesse der Gedanken, wie sie auch „N“ durchlebte.

Der Originaltext von E.T.A. Hoffmann

Im Originaltext berichtet der Protagonist in Briefform von seinem Leben: Der kleine Nathanael wird als Kind von seiner Mutter mit den Worten zu Bett geschickt „Schnell, der Sandmann kommt!“ - aber sein Kindermädchen erzeugt in ihm grässliche Schreckensbilder: Der Sandmann reißt den Kindern die Augen aus und nimmt sie mit!

Wilde Kinderfantasie macht aus schlürfenden Schritten eines nächtlichen Besuchers einen echten, grauenvollen Sandmann, der seinen Vater besucht. Heimlich beobachtet N. den Besucher, wie er zusammen mit seinem Vater alchemischen Okkultismus zelebriert - und muss seinen Vater sterben sehen: die Bilder von ausgebrannten Augenhöhlen wart er nie mehr los.

Die Sandmanngestalt verfolgt N.s fiebriges Leben weiter im Studentenalter: will dieser Sandmann ihm an der Tür merkwürdige Seh-Hilfen verkaufen? Ein wahnwitziger Kaleidoskop-Ritt beginnt: er verliebt sich in eine lebensechte Automatenpuppe, sieht Schatten, Geister, brennende Augen - bis er nicht mehr kann.

Das Bewusstsein, Fantasie, Wahn und die eigene Wirklichkeit werden untrennbar - was real ist und was nicht, bestimmt der Geist selbst.

Wie kann eine Geschichte auch visuell erlebbar werden - real, nachfühlbar?

Hoffmanns Buch spricht essentiell von Fantasie, Mehrlagigkeit/ Mehrdeutigkeit der Wahrnehmung und zeigt dem Leser eine andere Wirklichkeit, die der Protagonist durch seine eigene Phantasie entdeckt. Dies wird in visuelle und haptische Elemente übersetzt, die zu einem interaktiven Erlebnis verschmelzen.

Empathie und Miterleben

Durch N.s Bücher wird die Geschichte echt und greifbar. Das haptische Spiel mit Seiten, Zitaten, Bildern, Folien-Lagen lässt Raum zum Entdecken, Fantasieren und Kombinieren: wie es N. tat, um sich seine wilde Fantasiewelt zu erschaffen.

Illustrierende Nacherzählung

Mystifiziert und fragmentarisch wird die Handlung, eingerahmt von Zitaten N.s, lückenhaft illustriert (Fotografien, alte Dokumente). Der Leser sieht durch die Augen N.s überlagernde Schattenbilder.

Neue Gedankenwelten erschaffen

Durch Juxtapositionierung von Bild, Text und Inhalten entstehen in einem surrealistischen Schaffensprozess (mithilfe Logik und Phantasie des Rezipienten) neue Gedankenkonstrukte.

Konzeptionelle Ebenen des Buches

Matter of perspective

Beim ‚Sandmann‘ gibt es keine absolute Wirklichkeit - nur die Perspektive bestimmt, wie etwas zu sehen und zu begreifen ist.

Virtualität ist Realität

Es ist irrelevant, ob etwas in objektiver „Wirklichkeit“ oder N.s Imaginationwelt geschieht: für ihn ist alles gleichermaßen real - und der Leser erlebt es mit.

Phantasie durch Mehrdeutigkeit

Lücken, Fragmente, Unklarheit - produziert neue Kombinationen im Kopf des Lesers: er wird zum Weiterdenken provoziert.

Wahrnehmungsunschärfe

Hoffmann lässt offen, ob das Erlebte real ist, oder im Wahnsinn geschieht. Wahrnehmungszustände verschwimmen ineinander.

Fragmente entdecken

Die Handlung entdeckt stückweise das große „Ganze“. Wie ein Detektiv ist der Leser der Realität auf der Spur. Explore!

Suspense als Nährboden

Düstere Grundstimmung erzeugt Spannung und eine natürliche, emotionale Offenheit für neue Gedanken.

Materielle Ebenen

Mehrschichtigkeit ist ein zentrales Element der Arbeit. (Be-)greifbare Ebenen leiten den Leser von außen ins Innere des Protagonisten: vom Arbeitszimmer bis hin zu scheinbar beiläufig beigefügten Dokumenten, Notizen und Schattenbildern in den Notizbüchern. All diese liefern narrative Indizien, die zu einer komplexen Kollage verschmelzen.

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  • Die Bücher

    Die zwei Notiz-Kompendien „N.1“ und „N. 5“ sind durch Steck- und Klebetechnik mit Dokumenten, Notizen und Fotografie-Folien gefüllt und laden zum untersuchen ein. Beide sind komplett reproduzierbar.

  • Das Akten-Klemmbrett

    Beigefügte Dokumente beschreiben die die Bücher spielerisch als fragmentarisches Beweismaterial eines Patienten N., der analysiert werden soll. Der Leser wird zum aktiven Spurensucher.

  • Der Arbeitsraum

    Rauschen und gedämpftes Licht: Der inszenierte Arbeitsbereich des Protagonisten bietet auf Ausstellungen viele Spuren N.s, die es zu entdecken und erleben gilt.

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  • Notizen von N.

    Selektierte Zitate aus dem Originaltext geben fragmentarisch Eindrücke N.s wieder und führen durch die Handlung. Inszenierte Schreibmaschinenschrift auf Zettelgewirr zeigt Wirrheit, Wissbegier und Wundern über Wirklichkeit.

  • Dokumentensammlung

    Neben den eigenen Sinnen ist Wissenschaft ein externer Zugang zur Wirklichkeit. Die Reproduktion gemeinfreier Werke ermöglicht einen Einblick in die Schriften des 19. Jahrhunderts. Die Illusion herausgetrennter Buchseiten zeigt, wie N. versucht, die Wirklichkeit zu fassen. Ein Streifzug durch frühere Wissenschaft, die uns heute durch ihre phantastischen Seiten in Staunen versetzt.

  • Gedankenbilder

    Illustrierend geben Fotos auf Folien schattenhaft und durchscheinend die Echos vergangener Eindrücke wieder. Sie erzeugen unheimliche Atmosphäre, spielen mit dem Auf- und Verdecken von visuellen Aspekten und schaffen einen ganz eigenes Spiel mit Blickwinkeln, Hell und Dunkel.